Um unseretwillen in Versuchung geführt

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Die Heilige Schrift berichtet uns, unser Hohepriester Jesus sei „versucht worden in allem wie wir, doch ohne Sünde“ (Hebräer 4,15). Diese bedeutungsvolle Wahrheit spiegelt sich in der historischen, christlichen Lehre wider, nach der Jesus mit seiner Menschwerdung gleichsam als Vikar eine Stellvertreterfunktion eingenommen habe.

Das lateinische Wort vicarius bedeutet „als Stellvertreter bzw. Statthalter für jemanden im Einsatz stehen“. Mit seiner Fleischwerdung wurde der ewige Sohn Gottes unter Wahrung seiner Göttlichkeit Mensch. Calvin sprach in diesem Zusammenhang vom „wundersamen Tausch“. T.F. Torrance verwendete den Begriff der Stellvertretung: „Mit seiner Fleischwerdung erniedrigte sich der Sohn Gottes, stellte sich an unserer statt und positionierte sich zwischen uns und Gott, den Vater, und nahm damit all unsere Schmach und Verdammnis auf sich – und dies nicht als dritte Person, sondern als der eine, der Gott selbst ist“ (Atonement [dt.: Sühne], S. 151). In einem seiner Bücher verweist unser Freund Chris Kettler auf „die starke Wechselwirkung zwischen Christi und unserem Menschsein auf der Ebene unseres Daseins, der ontologischen Ebene“, was ich im Folgenden erläutere.

Mit seinem stellvertretenden Menschsein steht Jesus für die ganze Menschheit da. Er ist der zweite Adam, der dem ersten weitaus überlegen ist. Stellvertretend für uns, wurde Jesus an unserer statt – der Sündlose an Stelle der sündigen Menschheit – getauft. Unsere Taufe ist somit eine Teilhabe an der seinen. Stellvertretend für uns wurde Jesus gekreuzigt und starb für uns, auf dass wir leben (Römer 6,4). Sodann erfolgte seine Auferstehung aus dem Grabe, mit der er uns zugleich mit sich selbst lebendig machte (Epheser 2,4-5). Daran schloss sich seine Himmelfahrt an, mit der er uns im dortigen Reich einen Platz an seiner Seite gab (Epheser 2,6; Zürcher Bibel). Alles, was Jesus tat, tat er für uns, an unserer statt. Und dazu gehört auch seine Versuchung stellvertretend für uns.

Ich empfinde es als ermutigend, zu wissen, dass unser Herr sich denselben Versuchungen ausgesetzt sah, wie ich - und ihnen an meiner statt, stellvertretend für mich, widerstand. Sich unseren Versuchungen zu stellen und ihnen zu widerstehen, war einer der Gründe, derentwegen Jesus nach seiner Taufe in die Wüste ging. Auch wenn ihn der Feind dort in die Enge trieb, blieb er standhaft. Er ist der Überwinder – stellvertretend für mich, an meiner statt. Dies zu begreifen macht einen himmelweiten Unterschied!
Neulich schrieb ich über die Krise, die viele hinsichtlich ihrer Identität durchlaufen. Dabei ging ich auf drei nicht hilfreiche Wege ein, über die sich Menschen üblicherweise identifizieren: widerstehen musste. In seiner menschlichen Stellvertreterfunktion begegnete und widerstand er ihr an unserer statt. „Um unseretwillen und an unserer statt führte Jesus jenes Stellvertreterleben in äußerstem Vertrauen auf Gott und dessen Gnade und Güte“ (Incarnation [dt.: Fleischwerdung], S. 125). Er tat dies für uns in der klaren Gewissheit, wer er war: der Gottes- und Menschensohn.

Um in unserem Leben den Versuchungen widerstehen zu können, ist es wichtig zu wissen, wer wir tatsächlich sind. Als durch Gnade errettete Sünder haben wir eine neue Identität: Wir sind Jesu geliebte Brüder und Schwestern, Gottes innig geliebte Kinder. Es ist dies keine Identität, die wir verdienen und sicher keine, die andere uns geben können. Nein, sie ist uns von Gott durch die stellvertretende Menschwerdung seines Sohnes geschenkt. Es bedarf lediglich des Vertrauens auf ihn, der zu sein, der er tatsächlich für uns ist, um von ihm in großer Dankbarkeit diese neue Identität zu erhalten.

Wir schöpfen Kraft aus der Erkenntnis, dass Jesus für uns der Hinterlist von Satans subtilen und doch so wirkungsvollen Versuchungen, hinsichtlich des Wesens und der Quelle unserer wahren Identität, beizukommen wusste. Getragen vom Leben in Christus erkennen wir in der Gewissheit dieser Identität, dass das, was uns in Versuchung zu führen pflegte und uns sündigen ließ, immer schwächer wird. Indem wir uns unsere wahre Identität zu eigen machen und sie in unserem Leben zum Tragen kommen lassen, gewinnen wir Stärke, wissen wir doch, dass sie uns in unserer Beziehung zum dreieinigen Gott innewohnt, der uns, seinen Kindern gegenüber treu und voller Liebe ist.

Wenn wir uns aber unserer wahren Identität nicht sicher sind, werden uns Versuchungen sehr wahrscheinlich zurückwerfen. So zweifeln wir dann womöglich an unserem Christsein oder Gottes bedingungsloser Liebe zu uns. Vielleicht sind wir geneigt allein die Tatsache zu glauben, in Versuchung geführt zu werden, sei gleichbedeutend mit Gottes allmählicher Abkehr von uns. Das Wissen um unsere wahre Identität als Gottes aufrichtig geliebte Kinder, ist ein uns freigebig zuteilwerdendes Geschenk. Wir können uns dank der Erkenntnis in Sicherheit wiegen, weil Jesus mit seiner stellvertretenden Menschwerdung für uns – an unserer statt – allen Anfechtungen widerstand. Mit diesem Wissen vermögen wir uns unvermittelt wieder aufzurappeln, wenn wir sündigen (was unvermeidlich ist), notwendige Korrekturen vorzunehmen und darauf zu vertrauen, Gott wird uns voranbringen. Ja, wenn wir unsere Sünden bekennen und der Vergebung Gottes bedürfen, ist dies ein Zeichen dafür, wie Gott weiterhin bedingungslos und treu an unserer Seite steht. Wäre dem nicht so und hätte er uns tatsächlich im Stich gelassen, würden wir uns niemals aus freien Stücken wieder ihm zuwenden, um seine uns freigebig zuteilwerdende Gnade entgegenzunehmen und so dank seiner uns mit offenen Armen begegnenden Annahme Erneuerung erfahren. Lassen Sie uns unseren Blick Jesus zuwenden, der in jeglicher Beziehung, so wie wir, Anfechtungen ausgesetzt war, ohne jedoch der Sünde anheimzufallen. Lassen Sie uns auf seine Gnade, Liebe und Stärke vertrauen. Und lassen Sie uns Gott loben, weil Jesus Christus mit seiner stellvertretenden Menschwerdung für uns den Sieg davongetragen hat.

Von seiner Gnade und Wahrheit getragen,

Joseph Tkach
Präsident GRACE COMMUNION INTERNATIONAL


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